Gastbeitrag: Graphisoft Virtual Building Tour 2007 im Heizkraftwerk Müllerstraße

Buchstäblich hoch hinaus ging es bei der diesjährigen Graphisoft Virtual Building Tour am 24. Oktober 2007. Martin Schnitzer lud - auch anlässlich des 25-jährigen Bestehens von Graphisoft - zu diesem spektakulären Informationsnachmittag in das seit fünf Jahren stillgelegte Heizkraftwerk an der Müllerstraße ein. In dem 56 Meter hohen grünen Turm konnten sich die rund 60 Teilnehmer (die Anzahl musste aus Platzgründen strikt begrenzt werden) bei Käse, Brot und Wein auf die folgenden hochinformativen Vorträge einstimmen.

Der Ort

Den Auftakt bildete dabei das ehemalige Fernheizkraftwerk selbst. Das 1955 erbaute Industriegebäude steht zurzeit im Mittelpunkt städtebaulicher Planspiele - Wohnungen und Büros sollen hier in Zukunft Heizkessel und Rußfilter ersetzen. Ob der charakteristische Maschinenhaus-Turm erhalten bleibt oder einem Neubau weichen muss, ist noch nicht entschieden. Die acht in erster Runde aus dem zweistufigen Einladungswettbewerb ausgewählten Entwürfe mit beiden Varianten (sechs mit, zwei ohne Turm) werden gerade ausgewertet.

Das Projekt „The Seven“

Jörg Scheufele, Chef der Investorengruppe „alpha invest Projekt“ und selbst Architekt, stellte die möglichen Varianten der Umgestaltung vor und erläuterte die Ziele der Investoren. Ginge es nach ihm, würde der Turm samt Fassadenstruktur und Kaminen erhalten bleiben, nicht nur als Erinnerung an die ehemalige Nutzung, sondern auch als spannungsreiches Element im Stadtgefüge. Voraussetzung wäre natürlich, dass die notwendigen Umbauten nicht den Denkmalcharakter des Turms gefährden. Bis zur 26. Ebene besteht der Turm aus einer Stahlbetonkonstruktion, darüber ist er ein reiner Stahlbau. Nachdem er innen weitgehend hohl ist, müssten im Rahmen einer neuen Konstruktion Decken eingezogen werden.

An die Wand projizierte Fotos gaben während der Erläuterungen von Herrn Scheufele nicht nur eindrucksvoll die verschiedenen Entwurfsvarianten wieder, sondern - als Vorgeschmack auf die spätere Besichtigung - auch den atemberaubenden Ausblick von der Dachterrasse.

ARCHICAD 11

Auch zum Thema CAD gab es wichtige Neuigkeiten. Martin Schnitzer stellte die Version ArchiCAD 11 vor, mit der sich virtuelle Gebäudemodelle erzeugen lassen. Anschaulich vermittelte er die Vorzüge dieses Programms, indem er als Paradebeispiel den Entwurfsplan für das Massaro-Haus von Frank Lloyd Wright heranzog. Nach dem Tod des berühmten Architekten im Jahr 1959 beauftragte der Bauherr einen Kollegen von Wright mit dem Bau des Hauses auf einem Felsvorsprung über der Küste, und zwar nach den Originalplänen. Minutiös wurde damals anhand der einzelnen Entwurfsskizzen die mutmaßliche Konstruktion des Hauses ermittelt - mit ArchiCAD 11 wäre das ein Kinderspiel gewesen. Dieses 3-D-Planungsinstrument ermöglicht es, alle baulichen Aspekte eines Projekts darzustellen, da die Projektdatei mit sämtlichen Informationen verknüpft ist. Um sich mit diesem, für eine effiziente Planung unentbehrlichen Werkzeug vertraut machen zu können, warb Martin Schnitzer für die halbtägigen Schnupperseminare in seinen Büroräumen am Goetheplatz.

Der Turm

Nach dem von großartigen Fotos begleiteten Theorieteil ging es nun an die Praxis - die „Turmbesteigung“. Von den ehemaligen Büroräumen der vierten Etage bringen zwei kleine Lifte die Teilnehmer nach und nach auf die Ebene unter das Dach. Schon der Geruch von Maschinenöl lässt einen bereits die Arbeitsatmosphäre erahnen, die in dem kalten, fensterlosen Stahlkoloss geherrscht haben muss. Zwei schmale Metalltreppen trennen noch von dem mit Spannung erwarteten Augenblick auf der Dachterrasse: das grandiose Panorama Münchens aus 56 Metern Höhe. Wind, Kälte und bedeckter Himmel halten keinen davon ab, die Stadt aus dieser ungewöhnlichen Perspektive eingehend zu betrachten. Trotz der geringen Distanz zum Alten Peter bietet sich von hier aus ein ganz anderer Blickwinkel - und das relativ niedrige Geländer versperrt auch nicht den freien Blick.

Die Technik

Nachdem sich auch der letzte Teilnehmer von dem spektakulären Aussichtsplatz losgerissen hat, führt der Weg unter der fachkundigen Anleitung von Frau Adamik und Herrn Sennrich von der „alpha invest“ über die Treppen den Turm hinab, zu den einzelnen technischen Anlagen und in die seit fünf Jahren verwaisten Arbeitsbereiche. Bei einem Abstecher auf den Gitterrost, der in circa 20 Metern Höhe um die Rußfilter herumführt, konnten die Teilnehmer ihre Schwindelfreiheit testen. Auch von der unteren Ebene aus beeindruckte die gewaltige Höhe dieser trichterförmigen Riesen.

Durch die Schaltzentrale im ersten Stock, die mit den Schreibmaschinen und den Arbeitstischen wie ein verlassenes Relikt aus einer anderen Zeit wirkt, führt der Weg in die Turbinenhalle, in der nur noch hängende Kräne an den ehemaligen Betrieb erinnern. Die Turbinen wurden bereits entfernt. In der angrenzenden Halle ragen nicht nur die stillgelegten monumentalen Heizkessel in die Höhe, es findet sich auch als Kuriosum an der Wand neben einem Handwaschbecken ein Pissoir - Zeugnis der reinen Männerwelt zwischen den hohen Stahlwänden.

Ausblick

Beim Streifzug durch dieses beeindruckende Industriebauwerk mögen in der Phantasie mancher Teilnehmer bereits eigene Grundrisse oder Gestaltungsvarianten für die Umnutzung entstanden sein. Mit Sicherheit aber wird sich den meisten der heimliche Wunsch eingeschlichen haben, einst die zum Domizil mit Panoramablick umgestaltete Dachterrasse zu bewohnen - doch gerade dieser exponierte Platz ist bereits vergeben. Oder wer wollte ernstlich die aktuellen Bewohner - ein Wanderfalkenpaar - vertreiben?

Bettina Rühm, Dipl.-Ing. (univ), Architektur
Architekturjournalistin, München
München, den 30. Oktober 2007

Siehe auch folgende Beiträge:
Graphisoft Virtual Building Tour 2007 in München - Heizkraftwerk Müllerstraße
Graphisoft Virtual Building Tour 2007 - Volles Haus im Heizkraftwerk Müllerstraße

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